08.01.2023

Wärmestube: Jeden Sonntag seit 44 Jahren kochen Ehrenamtliche

In der Wärmestube kochen seit 44 Jahren jeden Sonntag Ehrenamtliche für Obdachlose. Liselotte Bertsch ist von Anfang an dabei und hört jetzt auf. Was sie über diese lange Zeit berichtet.


Der Anlass, weshalb die Aktion Wärmestube angeheizt wurde, ist tragisch: Ein Obdachloser war in Winter 1978 erfroren – mitten in Ulm. „Da wurde erst bekannt, dass das Übernachtungsheim für Wohnsitzlose an Wochenenden tagsüber geschlossen ist und erst um 18 Uhr öffnet“, erzählt Liselotte Bertsch. Rasch fand sich eine Gruppe, die ehrenamtlich an den Wochenenden tagsüber an der Pforte Dienst schob, damit niemand in der Kälte bleiben musste.
 
Im nächsten Winter später übernahm ein Zivildienstleistender diesen Dienst. Die Gruppe wollte daraufhin nicht einfach auseinandergehen. „Lasst uns den Leuten ein bürgerliches Mittagessen kochen“, kam als Idee auf, die alle gut fanden. Dabei ist es geblieben: Seit  44 Jahren kochen in der Wärmestube Ehrenamtliche jeden Sonntag für die Obdachlosen im Übernachtungsheim – Pause ist nur während der Vesperkirche.

Zwei bis drei ehrenamtliche Koch-Dienste pro Team im Jahr

Meistens sind es kleine Teams, bestehend aus Familienangehörigen oder Freunden, die zwei oder drei Dienste im Jahr übernehmen. Sie entscheiden selbst, was sie kochen, besorgen die Zutaten, gehen ans Werk und rechnen am Schluss mit Liselotte Bertsch ab. 
Die 91-Jährige ist von Anfang an dabei: Sie saß damals mit an der Pforte und kochte selbst viele Jahre lang. „Bei mir gab es immer Gaisburger Marsch, denn ich koche eigentlich nicht besonders gern und habe da wenig Fantasie“, sagt sie über sich.

Seit 25 Jahren für die Finanzen der Wärmestube zuständig

Dafür kann sie umso besser mit Zahlen umgehen: Seit 25 Jahren ist sie für die Finanzen der Wärmestube verantwortlich. Eine komplizierte Kassenführung ist auch nicht nötig: „Wir sind mit Absicht kein Verein geworden. Weil wir immer gedacht haben: Wenn uns die Köche ausgehen, hören wir unproblematisch wieder auf.“ Aber diese Sorge war unbegründet in all den Jahren.
 
Waren es anfangs so um die 20 Essen, die die Wärmestuben-Köche zubereiteten, sprach sich das Angebot schnell herum. Mit 60 Gästen waren die räumlichen Kapazitäten im Gemeinschaftsraum des Ü-Heims überschritten. Aktuell sind es 40 bis 50 Menschen, die regelmäßig das Essen genießen. Zu Beginn brachten die Ehrenamtlichen das fertig zubereitete Essen mit, denn im Übernachtungsheim gab es nur eine primitive Kochgelegenheit. Inzwischen ist die Küche dort richtig gut ausgestattet.

Jedes Koch-Teams bestimmt selbst, was gekocht werden soll

Manche Teams schaffen es, 50 Mahlzeiten aus frischen Zutaten für 50 Euro herzustellen. Andere brauchen 200 Euro. „Manche haben auch Sponsoren, beispielsweise ihre Arbeitgeber“, berichtet Bertsch. Sie kann sich auch an eine Phase mit ambitionierten Hobbyköchen erinnern, die den Ehrgeiz hatten, Fünf-Gänge-Menüs auf die Teller zu zaubern.  „Die haben selbst finanzielle Unterstützer gesucht und gefunden“, erzählt die Wärmestuben-Kassenwartin. Ansonsten hat die Aktion einen festen Unterstützer- und Spenderkreis; es gibt Benefizveranstaltungen, die Geld in die Kasse bringen.
 

Liselotte Bertsch: Die Spendenbereitschaft für Obdachlose ist groß

Genügend Geld für die Aktion aufzutreiben, war für Liselotte Bertsch nie schwierig: „Die Bereitschaft der Menschen ist groß, für Obdachlose zu spenden. Vielleicht, weil sie im Stadtbild so gegenwärtig sind.“ Ein Vorteil, den sie selbst hatte, war ein gutes Netzwerk: Ihr Mann Werner Bertsch, der frühere langjährige und 2020 verstorbene Sparkassen-Chef, war jahrzehntelang in evangelischen Kirchengremien und im Münster engagiert. „Aber ich habe immer gesagt: Wir in der Wärmestube haben nichts mit der Kirche zu tun.“
Die betont auch, dass ihr Anteil an der Wärmestube „gar nicht so wichtig“ sei: Denn Renate Brugger ist auch schon über 30 Jahre für die Organisation zuständig, sie koordiniert die Einsätze der Koch-Teams. „Sie erledigt den Löwen-Anteil der Arbeit.“ Brugger lädt auch zu den jährlichen Treffen ein. Am Mittwoch, 25. Januar, treffen sich die Ehrenamtlichen das nächste Mal, um das neue Jahr zu planen.


Eine der Mitinitiatorinnen geht nach 44 Jahren von Bord

Bei dem Treffen wird Liselotte Bertsch ihr Amt abgeben. Gesundheitliche Probleme zwingen die Seniorin zum Rückzug. Mit ihr geht die letzte Ehrenamtliche von Bord, die die Wärmestube von Anfang an mit auf Temperatur gehalten hat.

Info Auf Unterstützung durch neue Ehrenamtliche, die zwei bis drei Kochdienste übernehmen wollen, hofft die Wärmestube. Interessenten können sich bei Renate Brugger unter Tel. (07304) 37 60 melden.
Spenden für die „Wärmestube“ sind über die Aktion 100 000 möglich: Die Kontonummer bei der Sparkasse Ulm ist DE47 6305 0000 0000 1000 03.

Pläne zum Umbau des DRK-Übernachtungsheims

Der Ulmer Gemeinderat hat 2021 beschlossen, das Übernachtungsheim für Obdachlose umzubauen. Künftig soll es nur noch Zwei- und Drei-Bett-Zimmer geben, damit die Übernachtungsgäste mehr Privatsphäre haben. Auch soll der Schutz für Frauen verbessert werden. Das Gebäude gehört der Stadt, betrieben wird es vom DRK. Der Zeitplan sieht vor, dass im Sommer 2023 der Baubeschluss gefasst wird, damit im Herbst der Umbau beginnen kann  und zum Winter 2024/25  fertig ist. Das heißt auch: Für den Winter 2023/24 braucht es eine provisorische Notunterkunft für Obdachlose.