"Wenn Anja Schlumpberger davon spricht, wie sich die Corona-Zeit und die monatelangen Lockdowns auf die Frauenberatungsstelle und das Frauenhaus Ulm ausgewirkt haben, dann fallen die beiden Begriffe Ruhe und Bugwelle. Im Lockdown mit strengen Kontaktbeschränkungen gab es viel weniger Anfragen beim Trägerverein Frauen helfen Frauen, berichtet die Geschäftsführerin.Danach kam „die Bugwelle“, stiegen Hilferufe und Anfragen stark an. 186 Frauen wurden 2020 zu den Themen häusliche oder sexualisierte Gewalt beraten. „Die Nachfrage war nach den Lockerungen deutlich höher als in den Vorjahren“.Diese Erfahrung haben auch andere Frauenhäuser und Beratungsstellen gemacht, berichtet Schlumpberger. „Wenn die äußere Lage unsicher ist, ist es für Frauen noch schwieriger, sich aus einem gewaltbehafteten Umfeld zu lösen.“ Dies gelte insbesondere für Frauen, die über kein eigenes Einkommen verfügen, die finanziell von ihrem Mann abhängig sind, die (kleine) Kinder haben, die die deutsche Sprache schlecht beherrschen.
Gespenstische Ruhe
In den Zeiten strengerer Beschränkungen standen die Telefone in der Beratungsstelle manchmal nahezu still. „Es war eine gespenstische Ruhe“, sagt Schlumpberger – zumal sie und ihre Kolleginnen davon ausgingen, dass die Gewalt gegen Frauen nicht weniger, sondern mehr geworden war. Denn auch die Belastungen in den Familien waren beispielsweise durch Kurzarbeit und Homeschooling gestiegen.Die Kontaktbeschränkungen während der Pandemie machten es für Frauen aber auch ganz konkret schwieriger, sich Hilfe zu holen. Es gab weniger Möglichkeiten, sich jemandem außerhalb des Haushalts anzuvertrauen, weniger Alltagskontakte. „Im Lockdown konnte eine Frau nicht unbemerkt telefonieren oder das Haus verlassen, um in die Frauenberatungsstelle zu kommen“, meint Gisela Tamm vom Vorstand des Vereins Frauen helfen Frauen. Sie ist sich sicher: „Viel Leid blieb in emotional aufgeheizten, engen Wohnungen unbemerkt, viele Frauen und Kinder konnten dem nicht entkommen.“Als die strengen Kontaktbeschränkungen gelockert wurden, schnellten die Anfragen in die Höhe. Vieles, was sich angestaut hatte, brach sich Bahn – die Bugwelle. Frauen brauchten auch deshalb mehr Beratungsgespräche, weil andere Unterstützungsmöglichkeiten wegfielen, sagt Schlumpberger. Behörden, Selbsthilfegruppen und andere Einrichtungen waren teilweise immer noch nicht oder nur eingeschränkt erreichbar.Als Segen erwies sich in der Pandemie das neue Frauenhaus. Es wurde im Herbst 2019 bezogen und bietet den Bewohnerinnen und ihren Kindern mehr Platz, bessere Rückzugsmöglichkeiten und Spielflächen, auch im Freien, für die Kinder.Das war schon unter normalen Bedingungen dringend nötig, war aber während der Pandemie erst recht wichtig. „Im alten Frauenhaus mögen wir uns das Corona-Jahr nicht einmal vorstellen“, schreibt Gisela Tamm im Jahresbericht. Im neuen Domizil sei es dagegen gelungen, mit einem „effektiven Hygienekonzept“ Bewohnerinnen und Mitarbeiterinnen vor einer Ansteckung zu schützen.Beispielsweise wurde das Team geteilt: Zwei Kolleginnen arbeiteten ausschließlich im Frauenhaus, andere nur in der Beratungsstelle. Alles umzuorganisieren, ständig auf neue Vorschriften zu reagieren, zusätzliche Aufgaben zu übernehmen – „das alles hat das Team ans Limit gebracht“, sagt Schlumpberger. Zumal sich zusätzlich auch der ohnehin schon sehr große Beratungsbedarf der Bewohnerinnen durch die Pandemie deutlich erhöht habe: „Es war viel Unsicherheit spürbar.“
Zahlen zum Frauenhaus Ulm
12 Frauen und 15 Kinder lebten im vergangenen Jahr im Frauenhaus Ulm. Die Auslastung lag bei 110 Prozent, die durchschnittliche Aufenthaltsdauer der Frauen bei 175 Tagen.
42 Anfragen von Ulmerinnen gab es, die Zuflucht vor häuslicher Gewalt im Frauenhaus suchten. Davon mussten elf Frauen aus Platzmangel und zehn Frauen wegen zu großer Gefährdung an auswärtige Frauenhäuser weitervermittelt werden.
75 Prozent der Bewohnerinnen kamen mit ihren Kindern. Alle Kinder waren jünger als zwölf Jahre, fast zwei Drittel jünger als fünf Jahre.
25 Prozent der Frauen haben eine Anzeige gegen den Mann erstattet. Alle Täter kamen aus dem familiären oder sozialen Umfeld."
Info
Wer den Verein "Frauen helfen Frauen“ gezielt mit einer Spende unterstützen möchte, vermerkt auf seiner Überweisung an die Aktion 100000 unter Verwendungszweck das Stichwort: „Frauen helfen Frauen“.
Spendenkonten sind eingerichtet bei der
Sparkasse Ulm ( IBAN: DE4763 0500 0000 0010 0003 ) und der
Volksbank Ulm-Biberach (IBAN: DE7963 09010000 0236 4018).
Text: Chirin Kolb